Das Jahr 2020 markiert den 40. Jahrestag der Gründung der Zukunftswerkstatt Saar (ZW) e. V. So ungefähr. Denn das Projekt einer sozialen Bewegung entsteht oft nicht, indem sich ein paar Leute um einen Tisch setzen und eine Gründung beschließen. Es gibt eine Ge- schichte, die vor 1980 beginnt. Nur rückbli- ckend kann man sich darauf einigen, so um 1980 geht's ernsthaft los mit der ZW. Und heute gibt es sie immer noch, ein erstaunlich nachhaltiges Leuchtturmprojekt von Bürgerengagement und sozial-ökologischer Transformation im Saarland.
Wer erzählt diese Geschichte? Es gibt eigentlich nur eine Person, die von Anfang an über die gesamte Zeit dabei war - und die 2019, 92- jährig, verstarb. Gründer, 'Spiritus Rector' und Visionär, der Soziologe Dr. Franz Rudolf Peter, weit und breit einfach 'Rudi' genannt. Wir nennen ihn Papa. Wir, Stephan und Johannes, sind seine Söhne. Mal intensiver, mal aus der Ferne, waren wir in die Diskussionsprozesse um die Weiterentwicklung des Vereins mit seinen vielen dort Engagierten eingebunden - und begleiten ihn heute ehrenamtlich.
Diese Broschüre ist keine Jubelschrift. Sie be- schreibt in Text und Bild- die verschiedenen Wirkstätten und sozial-ökologischen Schwerpunkte der ZW. Unterlegt ist exemplarisch eine kritische Würdigung der Handlungschancen und Herausforderungen von Bürgerengage- ment in unserer Region. Kann die ZW Anderen Mut machen, selbst Bürgerprojekte mit ähn- lichen Themen zu starten? Mit Selbstverwaltung und Genossenschaften, mit Ökologie und Kampf für ein Solarzeitalter, mit urbanem Gärtnern und Inklusion von Migranten und behinderten Mitbürgern?
Ist diese Broschüre 'objektiv' in der Rekonstruktion? In dem Sinne, dass die Autoren
offenlegen, woher sie kommen. Wir wuchsen neben der Dillinger Hütte auf. Papa wurde 1960 SPD Ortsvereinsvorsitzender. Nach der Schicht kamen die Stahlarbeiter in ihren Arbeitsanzügen direkt zu uns in den Keller. Plakate kleben für die SPD. Solche praktischen Erfahrungen prägten uns Kinder mehr als manches schlaue Buch später. Betriebsräte, Ge- werkschafter, Priester, oder Schriftsteller wie Gustav Regler waren Teil schier endloser Diskussionsrunden. Die Wohnung Peter war damals wohl das intellektuelle Zentrum der Linken vor Ort. Aber Papa war kein Parteisol- dat. Als Soziologe dachte er frei. Bemängelte mit zunehmendem Alter die Ideenlosigkeit und Rechtswende seiner Partei; symphatisierte erst mit den Grünen, dann den Linken. Letztlich blieb er Sozialdemokrat, und 'rot-rot-grün' sein Ansatz. Dabei sah er seine Rolle weniger in der Parteipolitik als mitten in den zu vernetzenden sozialen Bewegungen.
Die fertige Broschüre Rudi als Spiegel nochmal vorzulegen, dadurch zusätzliche autobiographische Einsichten zu gewinnen und zu berücksichtigen, wäre ein Gewinn gewesen. Im Frühjahr 2019 hatte ich, Stephan, beim Kaffee so ein Gespräch mit ihm über die politische Situation im Saarland und seine Parteienlandschaft. Rudi war zu Hochform aufgelaufen - blieb skeptisch, und wie immer hoffnungsfroh. Was ich nicht wußte, es war sein Abschiedsgeschenk. Kurz danach kam er ins Krankenhaus. Wenige Wochen später war er tod.
Als die Zukunftswerkstatt gegründet wurde, war dieses Wort noch nicht in Mode. Die ZW wurde inspiriert vom renommierten Zukunftsforscher Robert Jungk. Früher Kritiker eines grenzenlosen quantitativen Wachstums, Warner vor den Gefahren der technisch-wissenschaftlichen Welt und dem blinden Vertrauen auf Experten, Mutmacher für Akteure der Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen. Fürsprecher einer Ausrichtung zur regenerativen Sonne. Anfang
der 1980er Jahre hatte er schon etliche Bücher verfaßt. Das war vor dem Internet-Zeitalter und so stellt er seinen Lesern immer wieder konkrete Praxisbeispiele für humanes und naturverträgliches Arbeiten und Leben vor. Diese 'Zukunftswerkstätten' waren strategisch mit der Hoffnung verbunden, Zeichen zu setzen, auszustrahlen. Gerade auf der lokalen Ebene. Im Grunde der Ansatz der sog. Alternativbewegung Anfang der 1980er. Die Betonung auf 'practice what you preach' statt der oft bloß theoretisch bleibenden Analyse der '68er.
In der Zukunftswerkstatt Saar wurde öfters die Aussage der Anthropologin Margaret Mead zitiert: 'Zweifeln Sie niemals daran, daß eine kleine Gruppe ernsthafter und engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich sind sie die einzigen, die dies vermögen'. Und im Sinne von Robert Jungk's Buch 'Projekt Ermutigung' bleibt die ZW ins Gelingen ver- liebt. Das setzt eine Vergewisserung des Status Quo und die bewußte Erinnerung an das was war voraus. Das sind keine Erfolgsgarantien, aber erhöht die Wahrscheinlichkeit. Rudi könnte das gesagt haben: 'Und auch wenn's den Bach runtergeht, wenn die Gleichgültigkeit und die Dummheit die Oberhand gewinnen - then we go down swinging like Ella Fitzgerald and Louis Armstrong in dem Bewußtsein, daß es Spaß gemacht hat, und es vielleicht in Zu- kunft vielleicht woanders, wieder gelingt'.