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Werkbuch - II. ZW - Phasen und Wegbereiter - 40 Jahre ZWSaar

Werkbuch

II. ZW - Phasen und Wegbereiter
40 Jahre ZWSaar - 1980-2020

II. ZW - Phasen und Wegbereiter

Über die Jahrzehnte durchlief die ZW drei Phasen. In ihrer ersten, den 1980er Jahren, war die ZW ein Netzwerk genossenschaftlich und selbstverwaltet organisierter Betriebe und Dienstleistungsprojekte mit Schwerpunkt in Saarbrücken. In ihrer zweiten Phase in den 90er Jahren bis etwa 2008 wurde die ZW in Dillingen/Saar rekonstruiert. Der Fokus war nun die Förderung der Solarenergie in allen Er-scheinungsformen. Die dritte, aktuelle Phase seit 2010 sieht sich der Zusammenführung der Zielperspektiven der ersten und zweiten Phase verpflichtet - Wirtschaftsdemokratie, urbanes und interkulturelles Gärtnern, Aktionen gegen die Klimakrise, Inklusion.


Wegbereiter.


Das in der Jugendszene angesehene selbst-

verwaltete Dillinger Jugendzentrum, ein von der Stadt sich fast selbst überlassener 'rechtsfreier' Raum, kann als wichtiger Wegbereiter der ZW gesehen werden. In Erinnerung bleiben die vielen, Mitte der 70er Jahre selbstorganisierten Musikveranstaltungen mit einer schier unglaublichen Audiencekultur. Vor einem Auf- tritt war es unter den 150 langhaarigen, lasziv daherkommenden Jugendlichen im prall gefüllten JUZ mucksmäuschen still, wie vor einer Opernaufführung im saarländischen Staatstheater. Hier war etwas im Entstehen.


1976 dann organisieren vier Jugendgruppen, das JUZ Dillingen, die Dillinger Jusos, die evangelische Jugendgruppe Dillingen und das benachbarte Jugendforum Nalbach, das erste saarländische Folkfestival, Folkething genannt, in Dillingen. Ein Jahr lang, an jedem Wochenende, laufen die Vorbereitungssitzungen. Rudi erläutert, ganz soziologisch, den Jugendlichen das Konzept der Netzwerkplanung. Es legt fest, was wann zu organisieren ist. Das große Zelt, im Weißkreuzstadion in Eigenarbeit auf-

gebaut, wird Bühne europäischer Folkmusik für über 2000 Jugendliche aus dem gesamten südwestdeutschen Raum. Zupfgeigenhansel, Rolf Linnemann, Herbert Schaal, Roger Siffer, Wild Geese und Hogwood, Sammy Vomacka, und viele mehr. Eintrittspreis für die beiden Wochenendtage 16 Mark.


1977, beim zweiten Folkething, sind es über 3500 Besucher aus der ganzen Bundesrepublik. Neben internationaler Folklore wird Literatur, Kabarett und Dichtung geboten. Höhepunkt der Auftritt des Solo-Kabarettisten Hans-Dieter Hüsch mit seinen kritischen Kommentaren zu Toleranz, Freiheit, und Menschlichkeit. Auch ein Folk-Gottesdienst in der evangelischen Kirche und ein Kinderkonzert finden Anklang.


1978 kommt ein Kamerateam des ZDF im Dillinger JUZ vorbei. Es entsteht ein 20-Minuten-Film für die ZDF-Jugendsendung 'direkt' - über das als 'beispielhaft' angesehene Dillinger JUZ und seine Folkethings. Diese finden zum dritten und vierten Mal auch noch 1978 und 1979 statt.


Schon im Vorwort zum dritten Festival eine Rückbesinnung: ,,dies ist ein kleines, regionales Festival; im Gegensatz zu Mammutfestivals wie Mainz, Tübingen, Dortmund soll unser Festival den Rahmen von höchstens 3000 Besuchern nicht überschreiten. ...Wir halten den Austausch zwischen den Festivalbesuchern (und auch Künstlern & Organisatoren) für einen wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil eines solchen Treffens.... Von unserer Festivalidee her sind Workshops und Aktionen ein wichtigerer Bestandteil als das Musikprogramm. Sie bestimmen nämlich hauptsächlich die Atmosphäre eines Festivals. ... Wir sehen uns... als ein Teil der Besucher. Wir produzieren kein Festival für andere, wir schaffen es für uns selber" (Vorwort. Programmheft, 3. Dillinger Folkething, Juli 1978).


Die großen Parteien im Dillinger Stadtrat, CDU

und SPD, und insbesondere die sie tragenden sozialen Milieus, christlich-konservatives Bürgertum und sozialdemokratische Arbeiterschaft, bleiben mit einer Mischung aus Verwunderung, Skepsis, und Nicht-Verstehen überwiegend distanziert. Die Betonung von Selbstverwirklichung und -verwaltung, und der Kampf gegen Atomkraft, erscheinen fremd. Es gibt Ausnahmen. So wurden in der Danksagung zum 3. Folkething (Programmheft, 1978) einzelne Bürger namentlich erwähnt. Der einzige ohne Benennung seiner Funktion ist Dr. Rudi Peter. Das war wohl schon damals nicht mehr nötig.


Aus ehemaligen JUZ-Leuten und Folkething- Unterstützern entsteht 1979 in Dillingen der ,,Verein zur Förderung alternativer Lebensformen", ein direkter Vorläufer der Zukunftswerkstatt. Die jungen Leuten organisieren ein zweitägiges Kunstforum und eine dreitägige Ausstellung zu 'alternativer Energie und Technik' mit über 1000 Besuchern in der Dillinger Stadthalle. Auffällig ist ein breiter Ansatz, der Arbeit, Energie, Wohnen, Gesundheit und Kunst/Ästhetik zusammen denkt. Es ist in dieser Zeit, dass zum ersten Mal der Begriff 'Zukunftswerkstatt' und seine Bedeutung diskutiert werden.


Kurzinterview: Frank Lion

Der Verein zur Förderung alternativer Lebensformen

(Interviewer S. Peter).

- Antworten sinngemäß zusammengefasst -


S.P. Frank, Du bist bekannt als engagierter Betreiber des einzigen fahrenden Theaterschiffs Deutschlands, dem über 100 Jahre alten Frachtkahn MARIA-HELENA. Ein Schiff, das meist unweit der Alten Brücke im Herzen Saarbrückens ankert. Aber schon seit 1981, also weit vor dem Start Deines Theaterschiffs 2007, schreibst Du selbst Theaterstücke und inszenierst sie.

Damals, von 1979 bis 1981, warst Du auch im Dillinger Verein zur Förderung alternativer Lebensformen aktiv. Es gibt wenig an Veröffentlichungen über diese Zeit - wie ist das entstanden, was habt ihr als Verein gemacht?


F.L. Der Verein ist aus dem JUZ Dillingen entstanden. Das selbstverwaltete Jugendzentrum war ja politisch sehr aktiv. Die treibende Kraft hinter der Vereinsgründung war Rudi. Ich habe 1977/78 in Paris Malerei studiert. Und als ich zurück kam, begann mein Einstieg ins Theater so: der Verein machte eine Aktion in der Dillinger Stadthalle, unter anderem mit einer Pantomime-Gruppe. Die brauchten einen dritten Mann. Weiß noch, wie wir einen deutschen Wald nachgestellt haben - garniert mit einem Haufen Müll.


S.P. In der Tat werden zwei Aktionen von der Lokalpresse gewürdigt, ein zweitägiges Kunstforum, und eine dreitägige Ausstellung zu 'alternativer Energie und Technik' mit über 1000 Besuchern in der Dillinger Stadthalle. Es war wohl auch die Zeit, die wichtig war für das Aufkommen von Ökobauern und der Entstehung des Bio-Gemüseanbaus im ganzen Kreis Saarlouis. Die Vereinsaktivitäten und Rudi als eine Art geistiges Gründerzentrum, die einen Beitrag zur Entstehung dieser damals neuen Bewegung geleistet haben?


F.L. Absolut. Roman Denis, Lisdorfer Bauer, ist ein Beispiel. Wir haben ein eigenes Feld angelegt. Haben unter Roman's Anleitung dort Ökoanbau ausprobiert. Ohne Gift zu spritzen.


S.P. Damals wurde bei Euch auch erstmals der Begriff 'Zukunftswerkstatt' verwandt. Was meintet ihr damit? Was ist aus dem Verein geworden?


F.L. Der Verein verstand sich als Werkstatt. Das ging in viele Richtungen. Rudi bleibt mir als erfrischender Ideengeber in Erinnerung.

Wir machten Seminare im ISO-Institut Saarbrücken, im Bildungszentrum Kirkel der Arbeitskammer. Es gab Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen, bis hin zu gemeinsamem Kochen.


Den Zukunftsforscher Robert Jungk, der den Begriff 'Zukunftswerkstatt' publizistisch bekannt machte, habe ich bei einer Veranstaltung persönlich erlebt. Er hat sein Schnitzel nicht gepackt. Da habe ich das halbe Schnitzel von Robert Jungk gegessen. 1982 ging ich nach Saarbrücken und bin im Theater eingestiegen. Das Leben ging weiter; man hat sich in eine Richtung spezialisiert - und da war ich im Ver- ein sicher nicht der Einzige (Danke Frank).


Um 1982 dann ein Umbruch; es gibt personelle Veränderungen. Einige finden Jobs in der 30 km entfernten Landeshauptstadt Saarbrücken oder waren da schon länger engagiert. Und Saarbrücken ist ein eigenes Pflaster für die Alternativbewegung, die dort Anfang der 1980er zu boomen beginnt. Im 'Reich', wie der Saarländer sagt, hatte diese ihren Höhepunkt schon wieder überschritten, aber im Saarland passie- ren die Dinge öfters zeitversetzt. Zu dieser Al- ternativbewegung gehörten ein junges Netzwerk Selbsthilfe Saar, ein Buchladen und eine Druckerei, die Stadt- und Szenemagazine Saarhexe und Stadtzeitung, Cafe Jonas, ein Kinderladen und die Alte Feuerwache, wo verschiedene Alternativbetriebe ihr Zuhause finden. Was bewegt? Selbstverwaltung und alternative Eigentums- und Arbeitsformen, wirt- schaftliches Überleben, Vernetzung und Ge- nossenschaften sind vorherrschende Themen.

PRESSEMITTEILUNG:
Dienstag/Mittwoch, 15./16. August 1978-Nr. 186


Blick ins Dillinger Jugendzentrum: Hier entstand ein Film für die ZDF Jugendsendung "direkt".

Foto: Ruppenthal


Klein, aber besonders aktiv
ZDF-Fernsehteam d
rehte im Dillinger Jugendzentrum

ps. Dillingen. Ein Kamerateam des Zweiten Deutschen Fernsehns hielt sich jetzt zu Dreharbeiten mehrere Tage im Dillinger Jugendzentrum auf. Über die Arbeit der Jugendlichen in der Johannesstraße entstand ein 20-Minuten-Film für die ZDF-Jugendsendung ..direkt".


Das Dillinger Jugendzentrum wurde von ZDF-Redakteur Wolfgang Lörcher (34) für direkt" ausgewählt, weil er es für "beispielhaft" hält. Lärcher: "Dieses Jugendzentrum eingebracht haben. Dazu aktiv." Der ZDF-Redakteur, der Jugendzentren in der ganzen Bundesrepublik kennt, weiter: Die Bandbreite des Angebotes hier ist sehr groß. Die Jugendlichen beweisen, daß man trotz ganz geringer Mittel viel machen kann."


Daß das Dillinger Jugendzentrum von der Stadt zu wenig Unterstützung erfährt ist der Hauptkritikpunkt, den die Jugendlichen in den Film über ihr Jugendzentrum eingebracht haben. Dazu wurde für den "direkt" Beitrag ein Interview mit Bürgermeister Leonardy gemacht. Außerdem wird der Film über das Dillinger Folkething, das von Mitarbeitern des Jugendzentrums initiiert wurde, und über die tägliche Arbeit im Jugendzentrum berichten. Besonderheit von „direkt" ist, daß die Jugendgruppen, die vor gestellt werden, über Konzeption und Inhalt der "direkt"-Beiträge selbst entscheiden können. Redakteur Lörcher: Wir beschränken uns darauf, technische Tipps zu geben".


Ralph Franz (20), Sprecher des Jugendzentrums, ist zufrieden mit dem Verlauf der Dreharbeiten: Die Zusammenarbeit klappte ausgezeichnet". Franz hofft, daß der Film dazu beitragen kann, Vorurteile gegenüber dem seit 1974 bestehenden Jugendzentrum abzubauen. Außerdem rechnet er in Zukunft mit einer größeren Unterstützung durch die Stadt Dillingen. "direkt" will die Entwicklung des Jugendzentrums auch weiterhin genau beobachten. ZDF-Mann Lörcher: Wir werden in einiger Zeit vielleicht noch einmal nach Dillingen kommen."


Sendetermin für den direkt"-Beitrag ist Samstag, der 30. September, um 19.30 Uhr im Zweiten Programm.


Abb. Saarbrücker Zeitung, 15/16/08.1978

Abb. Fahrradlader Saarbrücken, 1982


DILLINGER FOLKETHING  3


Musik, Literatur,

Kunst, Aktion


Folk- Festival

in

6638

Dillingen (Saar)

Weißkreuzstadion


7./8./9. Juli 1978

Veranstalter: Verein Folkething


Abb. Verein Folkething, 1978

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